Wanderung Sonvilier - Creux de Glace - Courtelary
Am Tor zur Unterwelt
Wanderzeit: 5 h 35 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Mai - Oktober
So könnte man sich den Eingang zur Unterwelt vorstellen: Der Creux de Glace im Berner Jura, eine der eindrücklichsten Eishöhlen der Schweiz, scheint direkt ins Innere der Erde zu führen. Das spektakuläre Loch lässt sich auf einer Höhenwanderung entlang des Nordhangs der Chasseralkette erkunden. Die Tour verläuft zu 75% auf Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Die Frage ist wohl so alt wie die Menschheit: Was passiert nach dem Tod? Seit jeher gehen viele Kulturen davon aus, mit dem Ableben sei nicht alles vorbei, vielmehr gehe ein Rest des Menschen – seine Seele, sein Schatten oder was auch immer – von der diesseitigen Erde in einen anderen Teil der Realität über. Dieses Jenseits kann ein abstraktes Konzept wie «der Himmel» oder «das Paradies» sein, aber auch ein konkreter Ort. Im alten Griechenland etwa stellte man sich vor, die Verstorbenen würden zunächst vom Fährmann Charon über den Fluss Styx gesetzt und danach am Ende der Welt zu einer Höhle gelangen, wo sie die Unterwelt, den Hades, betreten. Beim Eingang soll der dreiköpfige Hund Kerberos darüber gewacht haben, dass keine Lebenden ins Totenreich eindringen und keine Toten von dort entweichen konnten. Einzig dem Sänger Orpheus gelang der Zutritt, als er seine Gattin Eurydike ins Leben zurückholen wollte, aber das ist eine andere Geschichte.
Das Dorf Courtelary im Berner Jura liegt weit von Griechenland entfernt, und der Hades – falls er denn existieren sollte – befindet sich wohl kaum dort. Doch südlich des Dorfs gibt es den Creux de Glace, und dieser Abgrund könnte durchaus als Abstieg in Betracht kommen. Das Loch ist auf drei Seiten von nahezu senkrechten, bis zu 40 Meter hohen Felswänden umgeben. Einzig von Norden her ist der Zugang über eine steil abfallende Rampe möglich.
Ein schmales, glitschiges Weglein führt dort zwischen Felsblöcken in die Tiefe. Eine Tafel am oberen Rand des eingezäunten Schlunds warnt allerdings eindringlich vor dem Abstieg. Dennoch suchen Menschen seit jeher diesen ebenso ungewöhnlichen wie unheimlichen Ort auf. Während das heute aus Neugier und Abenteuerlust erfolgt, standen früher praktische Gründe im Vordergrund. Das Felsloch ist nämlich selbst im Sommer ein kalter Ort. «Ischgrüebli» wird es von jenen Einheimischen genannt, die deutschsprachig sind. Zu einer Zeit, als es noch keine Kühlschränke gab, nutzten es die Bauern, um dort Käse, Butter und Fleisch zu lagern.
Beim Creux de Glace handelt sich um eine Doline, wie sie für Karstgebiete typisch ist. Solche trichterförmige Löcher sind durch eindringendes Wasser entstanden, das den in jahrtausendelangen Erosionsprozessen Kalkfels allmählich aufgelöst hat. Im Winter bildet sich auf ihrem Grund ein Kaltluftsee, der im Frühling dafür sorgt, dass eindringendes Schmelzwasser zu Eis gefriert. Auf diese Weise kann sich ein unterirdischer Gletscher bilden. Die Voraussetzung für dieses Phänomen sind genügend tiefe winterliche Temperaturen, wie sie in Höhenlagen von mindestens 1000 Metern über Meer auftreten. Über die ganze Jurakette verteilt gibt es mehr als ein Dutzend solcher Eishöhlen. Früher waren es noch deutlich mehr, doch aufgrund der höheren Temperaturen im Winter hat sich die Eisbildung in manchen der Grotten deutlich abgeschwächt.
Der Besuch des Creux de Glace lässt sich gut mit einer Wanderung verbinden, die durch die Nordflanke des Chasserals führt. Ausgangspunkt ist Sonvilier im Talgrund des Vallon de St-Imier. Vom Bahnhof geht es ins Dörfchen hinunter, dann auf der gegenüberliegenden Talseite durch eine Lindenallee hinauf zum Wald. Schon bald erreicht man die Ruine du Château d’Erguël. Der im 13. Jahrhundert erbaute einstige Stammsitz der Herren von Erguel gilt als besterhaltene Burgruine im Berner Jura. Dank der strategisch günstigen Lage bot das Anwesen einen umfassenden Überblick auf das Tal.
Zunächst steil aufwärts im Wald, später dann annähernd flach über Weideland geht es zu den Gehöften Pontins und La Perrotte, von dort hinauf zur Métairie des Plânes. Über Pré aux Auges gelangt man zum östlichen Schluchtrand der Combe Grède. Bei der nahen Alphütte Les Limes Derrière ist der Kulminationspunkt der Tour erreicht. Ab jetzt führt ein schöner und aussichtsreicher Höhenweg über eine der Chasseralkrete vorgelagerte Höhenstufe.
Zwei Bergbauernhöfe mit angegliederter Gastwirtschaft, wie sie für die Region typisch sind, säumen den Weg: Zunächst passiert man die Métairie de Meuringue, später dann die Métairie de la Petite Douanne. Dazwischen kommt man an einem Wegweiser vorbei, der den Abstecher zum Creux de Glace anzeigt.
Vom Gehöft Le Pletz (auf der Landeskarte «La Pletz» genannt) geht es auf Weideland durch eine anmutige Senke, danach auf Waldwegen steil hinunter gegen den Talboden zu. Wieder auf offenem Gelände läuft der Abstieg an den Dorfrand von Courtelary sanft aus.