
Wanderung Tschierv - Müstair (A la riva dal Rom)
Der Rom – so frei wie kein anderer Fluss
Wanderzeit: 3 h 35 min
Schwierigkeitsgrad: T1 Wandern *
Saison: Mai - November
Der Uferweg «A la riva dal Rom» säumt den Talfluss Rom im Val Müstair auf dessen ganzer Länge. Wer ihm folgt, erlebt eine ungewöhnlich abwechslungsreiche Wanderung, die an der Quelle beginnt und fast bis zur Landesgrenze führt. Die Tour verläuft zu knapp 90% auf Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Das Val Müstair ist eine besondere Welt. Das Tal ist von der übrigen Schweiz getrennt durch die einsame und wilde Landschaft von Nationalpark und Ofenpass, die sich nur durch eine fast einstündige Passfahrt überwinden lässt. Die Talbevölkerung spricht einen rätoromanischen Dialekt, der sonst nirgends in Gebrauch ist. Und dann gibt es dort noch diesen Fluss, der weder Talsperren noch Wasserfassungen und fast keine Uferverbauungen aufweist – das ist der Rom. Im Unterschied zu den meisten anderen Talflüssen der Schweiz wird er nicht für die Stromproduktion genutzt.
Das ist nicht etwa eine zufällige Fügung, sondern das Ergebnis jahrelanger harter Auseinandersetzungen. In den 1980er- und 1990er-Jahren standen sich im Val Müstair zwei unversöhnliche Lager gegenüber: Hier die Befürworter eines Ausbaus von Wirtschaft und Energieproduktion, dort Naturschutz- und Fischereikreise. Schliesslich obsiegten die Gegner der Wasserkraftnutzung – der Rom fliesst weiterhin unverbaut durch die Landschaft. Das gilt allerdings nur für den Schweizer Teil des Flussbetts. Gleich hinter der Landesgrenze wird das Wasser des Rambachs, wie man den Fluss im deutschsprachigen Teil Südtirols nennt, gefasst und turbiniert. Im Val Müstair hingegen kann er seine Natur als zuweilen ungestümes, manchmal aber auch gelassenes Gebirgskind entfalten. Dem Wasserlauf folgt hier ein sehr schön angelegter Uferweg mit dem Namen «A la riva dal Rom». Wer ihn beschreitet, durchstreift Natur- und Kulturlandschaften, die ihr Gesicht auf kurzer Distanz immer wieder verändern.
Seinen Ursprung hat der Rom in Tschierv, dem obersten Dorf des Val Müstair. Am nordwestlichen Dorfrand befindet sich die Funtauna da Rom. Das ist nicht etwa eine mächtige Quelle, in der das Wasser prominent aus einer Felswand schiesst. Vielmehr entströmen dort aus mehreren kleinen Quellaufstössen eine Reihe von Rinnsalen, die zwar einzeln für sich unscheinbar wirken, sich aber rasch zu einem stattlichen Bach vereinen. Im nahen Moorgebiet Pra dal Vegl treten besonders viele solche Bächlein zutage. Nach wenigen hundert Metern ist die Wassermenge bereits so gross, dass man nicht mehr von einem Bach, sondern von einem Fluss sprechen kann. Mit dem erstaunlich raschen Wachstum hat es folgende Bewandtnis: Eigentlich hat der Rom seinen Ursprung weiter oben in der Karstlandschaft der Alp da Munt; von dort gelangt das Oberflächenwasser durch unterirdische Risse und Spalten ins Tal.
Bis zur Dorfkirche von Tschierv verläuft der Wanderweg eine Weile abseits des Wassers auf Asphaltstrassen, danach führt er als Naturpfad wieder direkt dem Ufer entlang; zuvor sollte man sich den Abstecher zum Biotop La Stretta nicht entgehen lassen.
Vom östlichen Dorfende von Tschierv an wird es vorübergehend etwas langweilig. Zunächst wandert man der Hauptstrasse entlang, danach auf einem Schottersträsschen. Dieses verläuft zwar in der Nähe des Ufers, doch immer wieder schränkt Gehölz die Sicht auf das Wasser ein. Der Rom weist hier nur wenig Gefälle auf und zieht deshalb vergleichsweise träge dahin. Wie der Flurname «Palü dals Lais» (Seensümpfe) besagt, war die Ebene früher ein ausgedehntes Sumpfgebiet. Im Zuge der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg wurde der Rom kanalisiert und der Boden durch Drainage landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Im Laufe der Jahrzehnte vernässte jedoch das Gebiet erneut. Wie sich zeigte, richteten die Kanalisierungen mehr Schaden an, als dass sie Nutzen stifteten. Deshalb vollzog man 2007 eine Kehrtwende und gab dem Talfluss im Rahmen eines Renaturierungsprojekts wieder mehr Raum.
Nachdem die Talstrasse unter- und der Fluss überquert worden ist, ändert sich der Charakter der Wanderung deutlich. Als schmaler Pfad schlängelt sich der Uferweg nun durch Gehölze und über Weideland. Dabei verläuft er zunächst an etwas erhöhter Lage, nach neuerlichem Wechsel ans südwestliche Ufer dann durch den Auenwald nahe dem Wasser. Auf der Höhe von Fuldera nimmt der Rom allmählich Fahrt auf, und von Furom an wird er so richtig dynamisch. Das Gefälle lässt ihn nun munter, ja zuweilen wild schäumend seinen Weg durch das felsige Flussbett suchen. Der Wanderweg verläuft hier teils auf Holzstegen, teils auf schmalen Pfaden.
Im weiteren Verlauf wechselt der Uferweg noch ein paar Mal die Seite. Meist zieht er sich durch mehr oder weniger flaches Gelände, zwischendurch führt er aber auch durch Steilhänge. Ausblicke zum Wasser wechseln sich ab mit Weitsicht auf den Talboden des Val Müstair und zu den umliegenden Bergen. Die Dörfer Fuldera, Valchava und Sta. Maria umgeht der Uferweg in geringer Distanz. Wer eines davon (bzw. eines der dortigen Restaurants) besuchen will, muss nur kurze Umwege einschalten. Unterhalb des Gebiets Muglin bei Valchava lädt ein idyllischer Rastplatz mit einem kleinen Wasserrad zur Pause ein.
Auf der Höhe von Sta. Maria wird das Terrain nochmals relativ flach, so dass der Rom dort in einem weit ausgeuferten Flussbett fliesst. Danach nimmt das Gefälle wieder zu und das Flüsschen strömt als rauschender Gebirgsbach durch ein wesentlich engeres, aber gleichwohl unverbautes Bett talwärts. Ein wenig eintönig sind die letzten anderthalb Kilometer der Tour. Sie verlaufen an der Westseite des Rom auf Kies- und teilweise auch auf Asphaltsträsschen. Der Uferweg endet beim Benediktinerinnenkloster St. Johannes.