Wanderung Le Prese - San Romerio - Brusio
Der Kirchturm am Abgrund
Wanderzeit: 6 h 30 min
Schwierigkeitsgrad: T2 Bergwandern *
Saison: Juni - Oktober
Ein ruppiger Aufstieg durch einsame Bergwälder, ein nicht minder steiler Abstieg, der ebenfalls eher wenig Aussicht bietet, und dazwischen eine traumhaft schöne Alp mit einer romanischen Kirche und fantastischer Aussicht bis nach Italien: Das bietet die sehr lohnende Bergwanderung nach San Romerio. Rund 1 km auf Asphalt im Raum Selvaplana, sonst fast durchwegs Naturbelag.
Detaillierte Routenbeschreibung
Die Eisenbahnfahrt vom Engadin über den Berninapass ins italienische Städtchen Tirano ist nicht gerade arm an landschaftlichen und bahntechnischen Reizen. Neben dem unerhört steilen Trassee (das notabene ohne Zahnradantrieb bewältigt wird) und dem einzigartigen Kreisviadukt in Brusio gibt es unterwegs eine spektakuläre Attraktion, die allerdings vielen Augen verborgen bleibt. Wenn der Zug am Lago di Poschiavo entlangfährt und man den Blick hebt, sieht man auf der anderen Seite des Sees, hoch über einer steilen Klippe, einen Kirchturm. Wie ein Traumbild erscheint dieses Bauwerk, das in der abweisenden, schroffen Felslandschaft einsam aufragt.
Das Kirchlein ist uralt - schon in einer Urkunde aus dem Jahr 1106 wird es erwähnt. Es liegt an einem Saumpfad, der vermutlich schon in römischer Zeit begangen wurde und der das Veltlin über den Berninapass mit dem Engadin verband. Heute verläuft der Verkehr auf Strasse und Schiene im Talboden, doch die Wege in der Höhe stehen noch immer für Entdeckungen offen. Wer vom Tal aus startet, hat als erstes einen happigen Aufstieg zu bewältigen. Von Le Prese gelangt man auf einem breiten Spazierweg erst dem See entlang und durch kleine Wäldchen nach Canton. Ab hier geht es aufwärts, und zwar steil. Durch urwüchsiges Nadelgehölz steigt man über Barghi ins Val da Terman hinauf. Zwischendurch gibt der Wald den Blick auf die umliegenden Berge und auf den in der Tiefe blaugrün schimmernden Lago di Poschiavo frei.
Schliesslich mündet die Wanderroute in einen Mountainbiketrail - man darf also damit rechnen, dass einem auf dem schmalen Weg gepanzerte Biker entgegengeschossen kommen. In leichtem Auf und Ab geht es durch den Bergwald weiter, bis sich unvermittelt die Sicht öffnet. Hoch über dem Tal erstreckt sich eine weite, grasüberwachsene Terrasse, an deren Rand, direkt am Abgrund, ein alter Kirchturm steht. Der Anblick ist märchenhaft und geradezu unwahrscheinlich - man reibt sich die Augen, doch der Traum ist wahr, und das Idyll ist perfekt. Etwas weiter hangwärts stehen zwei, drei Steinhäuser, die eine Alpwirtschaft samt Restaurant bilden. Der Wirt verkauft eigenen Käse sowie sogenannten Alpwein, auf den Tisch kommt zudem Gemüse und Salat aus eigenem Anbau. Trotz der Höhenlage von 1800 m gedeiht hier eine üppige Blumenpracht: Noch im Oktober blühen im Garten nebenan knallrote Dahlien.
Auf dem nun folgenden Kilometer verläuft die Route über ein Kiessträsschen, das mit mässigem Gefälle abwärts führt. Unterwegs geniesst man herrliche Ausblicke ins Tal und Richtung Süden ins nahe Veltlin. Bei Piaz wird talwärts abgezweigt. Zuerst geht es auf einem schmalen Waldpfad abwärts, danach auf einer Schotterstrasse, deren Haarnadelkurven jeweils auf ein paar Dutzend Metern Länge mit Asphalt «gepolstert» sind. Ab Selvaplana gelangt man auf alten, teilweise mit Natursteinen gepflästerten Zügelwegen über Wiesen und durch Wäldchen nach Brusio.